Der digitale Euro
Vortrag Herr Gagel
6.11.2025 Traktormuseum Uhldingen-Mühlhofen
Stellen Sie sich vor, Zahlungen im gesamten Euroraum könnten künftig ebenso einfach, schnell und kostengünstig erfolgen wie das Versenden einer Messenger-Nachricht – und das weitgehend unabhängig von außereuropäischen Zahlungsdienstleistern. Auch könnten innovative digitale Geschäftsmodelle entstehen, die bislang an Gebührenstrukturen, technischen Hürden oder mangelnder Interoperabilität scheitern. Mit diesen Perspektiven ist die Hoffnung verbunden, die sich im Projekt „digitaler Euro“ der Europäischen Zentralbank (EZB) widerspiegelt.
Herr Maximilian Gagel von der DZ BANK, dem Spitzeninstitut der genossenschaftlichen Finanzgruppe, hat am 6. November im Rahmen einer Veranstaltung der MIT Mittelstandsvereinigung im Traktormuseum in Uhldingen-Mühlhofen einen fundierten Einblick in dieses hochaktuelle Thema gewährt und zentrale Fakten sowie eine kritische Einordnung aus Sicht einer Geschäftsbank vorgenommen.
Mit einem kurzen Rückblick auf die historische Entwicklung des Geldes als vom Tauschhandel losgelöstem Zahlungsmittel skizzierte Herr Gagel den Weg von den ersten Münzprägungen über Papiergeld bis hin zu modernen digitalen Bezahlformen – einschließlich neuer digitaler Währungen wie Bitcoin und Stablecoins. Während Bargeld bis vor wenigen Jahrzehnten das dominierende Zahlungsmittel war, haben digitale Zahlungsverfahren – etwa Zahlungen per Karte oder Smartphone – in den letzten Jahren eine beeindruckende Verbreitung erlangt.
Digitale Zahlungslösungen sind heute im Alltag vieler Menschen fest verankert, insbesondere bei Zahlungen im Onlinehandel und im internationalen Zahlungsverkehr. Bild 4 verdeutlicht anschaulich den Rückgang des Bargeldanteils bei Zahlungsvorgängen und die gleichzeitig markante Zunahme von Kartenzahlungen und mobilen Bezahlverfahren. Dennoch bleibt Bargeld weiterhin ein wichtiger Bestandteil des Zahlungsverkehrs, auch wenn digitale Verfahren zunehmend das Zahlungsverhalten prägen.
Vor diesem Hintergrund plant die EZB eine digitale Form des Bargelds – den digitalen Euro – als ergänzende Zahlungsoption einzuführen.
Intro MIT
Ein großer Anteil dieser Zahlungen wird abgedeckt durch amerikanische Dienstleister wie PayPal, Visa und Mastercard. Dabei sind die Anteile am deutschen E-Commerce nicht unerheblich. So hat z.B. PayPal einen Umsatzanteil von 27,7% am Onlinehandel laut EHI-Statistikportal für 2023. Immerhin ist die Girocard bzw. die frühere EC-Karte ein noch sehr gebräuchliches Zahlungsmittel in Deutschland, das aber nicht eigenständig in anderen europäischen Ländern eingesetzt werden kann.
Die EZB hat erkannt, dass Zahlungssysteme im 21. Jahrhundert über ihre ökonomische Funktion hinaus auch eine geopolitische Rolle spielen. Während private amerikanische Technologiekonzerne wie PayPal, Visa und Mastercard den Zahlungsverkehr maßgeblich prägen und in China bereits der digitale Yuan getestet wird, steht die Entwicklung eines digitalen Euros im Kontext europäischer Souveränitätsbestrebungen – sowohl in wirtschaftlicher, technologischer als auch in politischer Hinsicht (siehe Bild 5). Die Abhängigkeit von internationalen Zahlungsdienstleistern ist auch im Euroraum deutlich spürbar, etwa im Onlinehandel oder bei Auslandszahlungen, wo europäische Lösungen bislang nicht flächendeckend verfügbar sind.
Bisher ist die Einführung eines digitalen Euro noch nicht beschlossen. Dennoch hat die Europäische Zentralbank bereits zentrale Eigenschaften skizziert, die ein digitaler Euro im Falle seiner Verwirklichung voraussichtlich aufweisen könnte (siehe Bild 6):
• Die Nutzung für Privatpersonen soll kostenlos möglich sein.
• Der digitale Euro würde – neben dem klassischen Bargeld –
den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels (Legal Tender)
erhalten.
• Die Nutzung wäre über eine App vorgesehen, die sowohl von der
EZB selbst als auch von privatwirtschaftlichen Zahlungsdienstleistern
(Payment Service Providern) bereitgestellt werden könnte.
• Der digitale Euro soll sowohl in einer Online-Version (per
Smartphone) als auch in einer Offline-Version nutzbar sein
• Die Ausgabe des digitalen Euros würde über Finanzintermediäre
erfolgen, insbesondere über die jeweilige Hausbank.
Für Bürgerinnen und Bürger soll die Nutzung des digitalen Euros kostenlos möglich sein. Über eine entsprechende App könnten sekundenschnelle Überweisungen im gesamten EU-Raum getätigt werden (Echtzeitzahlungen). In der geplanten Online-Version sollen sämtliche für Verbraucherinnen und Verbraucher relevanten Anwendungsfälle abgedeckt werden: von Peer-to-Peer-Zahlungen (P2P) über den E-Commerce bis hin zur Bezahlung an der Ladenkasse.
Ergänzend zur Online-Variante beabsichtigt die EZB, auch eine Offline-Version des digitalen Euros bereitzustellen. Diese soll an den traditionellen Eigenschaften des Bargelds orientiert sein und anonyme Kleinbetragszahlungen von Gerät zu Gerät – auch ohne Internetverbindung – ermöglichen.
Für den Handel soll die Annahme des digitalen Euro – mit wenigen Ausnahmen – verpflichtend sein. Die anfallenden Gebühren für die Zahlungsabwicklung im Handel sollen sich dabei an den günstigsten privatwirtschaftlichen Verfahren orientieren, um eine möglichst geringe Belastung für den Handel zu gewährleisten. Technisch werden die Zahlungsprozesse mit dem digitalen Euro in der Online-Version in mehreren Schritten abgewickelt, wie die Abbildungen 7 bis 11 verdeutlichen:
Durch den digitalen Euro könnte erstmals jeder Bürger im Euroraum die Möglichkeit erhalten, ein Konto direkt bei der EZB zu führen (siehe Bild 7 – „Konto 1“). Dieses Konto ist als ein Aktions- und Durchlaufkonto konzipiert: Eingehende Zahlungen können dort – ohne Verzinsung – bis zu einer noch zu definierenden Haltegrenze gehalten werden. Überschreitet der kumulierte Betrag auf diesem Digitalen Euro Konto diese Schwelle, wird der überschüssige Betrag automatisch auf ein Referenzkonto des Bürgers bei einer Geschäftsbank (Konto 2) überwiesen. Dieses automatisierte Umschichtungsprinzip wird als „Wasserfall-Prinzip“ bezeichnet (siehe Bild 8).
Bei ausgehenden Zahlungen – etwa bei einer Überweisung – wird der gewünschte Betrag zunächst vom Digitalen Euro-Konto (Konto 1) abgebucht. Übersteigt der gewünschte Überweisungsbetrag das auf diesem Konto verfügbare Guthaben, wird der fehlende Betrag automatisch und in Echtzeit vom hinterlegten Referenzkonto bei einer Geschäftsbank („Konto 2“) transferiert. Dieses Verfahren wird als „Reverse Waterfall“-Prinzip bezeichnet (Bild 10).
Die EZB plant, den digitalen Euro bis zum Jahr 2029 einzuführen (siehe Bild 11). Die Einführung steht jedoch ausdrücklich unter dem Vorbehalt des derzeit laufenden EU-Legislativverfahrens. Bislang fehlt somit das politische „grüne Licht“ für einen digitalen Euro. Erst wenn das Europäisches Parlament, der Europäische Rat und die europäische Kommission sich auf eine gesetzliche Grundlage einigen, könnte die EZB mit der tatsächlichen Umsetzung beginnen. Die endgültige Ausgestaltung des digitalen Euros hängt maßgeblich von den Vorgaben des Gesetzgebers ab.
Einen wichtigen Impuls für das weitere Verfahren hat jüngst der Berichterstatter des Europäischen Parlaments, Dr. Jonás Fernández Navarrete, gesetzt. In seinem Bericht spricht er sich für einen stufenweisen Ansatz bei der Einführung des digitalen Euros aus. Zunächst soll der digitale Euro in einer „Startphase“ lediglich grundlegende Funktionen umfassen; weitere, komplexere Anwendungsfälle und technische Ausgestaltungen wären erst nach sorgfältiger Evaluierung und gegebenenfalls weiteren Gesetzgebungsverfahren vorgesehen. Ziel dieses schrittweisen Vorgehens ist es, Risiken frühzeitig zu erkennen und zu minimieren und zugleich die Akzeptanz in der Bevölkerung und bei Unternehmen zu erhöhen. Die Deutsche Kreditwirtschaft bewertet den Bericht von Herrn Navarrete positiv, da er bestehende und neue europäische Zahlungslösungen wie WERO stärker berücksichtigt als der ursprüngliche Kommissionsentwurf. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, europäische Souveränität im Zahlungsverkehr zu stärken, ohne funktionierende privatwirtschaftliche Strukturen zu verdrängen (Link Pressemitteilung)
Im unteren Teil von Bild 11 wird der WERO vorgestellt. WERO wird von der European Payments Initiative (EPI), einem Zusammenschluss von 14 europäischen Banken und zwei Zahlungsdienstleistern, entwickelt. Dieses Verfahren basiert auf privatwirtschaftlichen Strukturen, während der digitale Euro als staatlich garantiertes, von der EZB ausgegebenes Zentralbankgeld konzipiert ist. Beide Systeme zielen darauf ab, europäische Souveränität im Zahlungsverkehr zu stärken.
Die Funktionen überschneiden sich deutlich: Sowohl WERO als auch der geplante digitale Euro decken Zahlungen an der Ladenkasse, im E-Commerce und Peer-to-Peer-Transfers ab. Im Unterschied zum digitalen Euro, der sich noch im Gesetzgebungsverfahren befindet, ist WERO bereits am Markt und zählt aktuell rund 46 Millionen Kunden. Die teilnehmenden europäischen Banken sehen WERO als praxiserprobte Alternative und betonen, dass Wettbewerb und die Rolle der Geschäftsbanken auch bei einer möglichen Einführung des digitalen Euro gewahrt bleiben sollten.
Als Fazit lässt sich zum geplanten digitalen Euro sagen, dass er:
• kein Ersatz für das Bargeld ist
• keine Kryptowährung ist
• kein programmierbares Geld ist
• er lässt sich nicht verzinsen.
Der digitale Euro ist kein futuristisches Experiment und keine Kryptowährung im Stil von Bitcoin. Er ist staatlich garantiertes, europäisches Zentralbankgeld – nur in digitaler Form.
Seine Einführung ist damit nicht nur eine technische Entscheidung ist, sondern eine zutiefst politische Entscheidung für Europa und möglicherweise ein strategischer Wendepunkt für die europäische Wettbewerbsfähigkeit.
Ein herzliches Dankeschön an Herrn Gagel und die DZ Bank











